Lars David Kellner

Die Deutsche Liszt-Gesellschaft über Lars David Kellners Einspielung: Franz Liszt - Sämtliche Werke für Harmonium (Vol. 3)

Deutsche Liszt-Gesellschaft

"Ein absolutes Kleinod der Interpretation auf dem Harmonium! Kellners Spiel leuchtet mal glimmend, mal glühend, mal lodernd, übertreibt nie und fasziniert immer." (M. Straeter, Deutsche Liszt-Gesellschaft, 2022)

(Zur Besprechung des Albums auf der Website der Deutschen Liszt-Gesellschaft)

So viele Passionsmusiken die Musikgeschichte aufweist, so selten sind unter ihnen Vertonungen des traditionellen römisch-katholischen Kreuzweges. Dabei bieten die seit dem 17. Jahrhundert bekannten 14 Stationen der Via dolorosa zwischen dem Haus des Pilatus und Christi Grabstätte eine in Zeit und Raum verdichtete Lebens- und Sterbensgeschichte des Gottessohnes; ein handlungs- und gefühlsreiches christliches Drama.

Liszts Kreuzweg gehört zu seinen gewagtesten, vielleicht verstörendsten und dabei authentischsten und reizvollsten Werken. Sein schon in Jugendjahren in Angriff genommenes Vorhaben, die römische Kirche zu einer Erneuerung ihrer Musik zu bewegen, hat er zwar auch mit der Via Crucis nicht erreicht, und weder wurde dieses Werk zu seinen Lebzeiten aufgeführt (Uraufführung Budapest 1929) noch gedruckt (Erstdruck Weimar 1936), noch ist es seither zum Allgemeingut der Kirchenmusik geworden. Aber inzwischen gehört die etwa eine Dreiviertelstunde dauernde Via Crucis, was die Zahl der Aufführungen angeht, zu Liszts populärsten religiösen Werken, noch vor seinen drei (eigentlich fünf) Messen und den drei Oratorien.

Wie so häufig bei Liszt, ist auch die Via Crucis reich an Bezugnahmen: Zeichnungen des Künstlers Johann Friedrich Overbeck dienten Liszt als Anregung für den 1873 geplanten und 1878-79 im Kern fertiggestellten Zyklus, in dem er dann lateinische Hymnik, Gregorianik und protestantischen Choral (sogar Anklänge an Wagners Parsifal vermeint man in Station XII zu erkennen) mit ganz eigenem musikalischen Material verbindet. Und wie ebenfalls häufig, hat Liszt auch dieses Werk in verschiedenen Fassungen mit unterschiedlichen Besetzungen hinterlassen. Die wohl bekannteste Fassung ist sicherlich jene für Soli, Chor und Tasteninstrument (Orgel, Harmonium oder Klavier) auf lateinische und deutsche Texte, mit vier rein instrumentalen Teilen (Stationen IV, V, X, XIII). Bekannt dürften auch die Fassungen für Klavier solo und Orgel solo sein; so gut wie nie zu hören ist dagegen die hier von Lars David Kellner vorgelegte Fassung für Harmonium allein.

Dass sie zu Unrecht vernachlässigt wurde und warum Liszt auch eine Fassung für genau dieses Instrument geschaffen hat (S669b), wird in Kellners Interpretation schnell deutlich. Das Harmonium vermag sowohl das intime und persönliche Leiden in unbegleiteten einstimmigen Melodien ebenso darzustellen als auch das Durcheinander aufgewühlter Volksszenen (Crucifige), die schmerzvollen Worte der Marienbegegnungen (Stabat mater) ebenso wie den tröstenden Gesang des Gemeindechorals (O Haupt voll Blut und Wunden), vermeidet dabei jedoch manche Härte des Klavierklangs und manches Dröhnen der Orgel. Die Menschlichkeit seiner Stimmen und – gerade beim hier verwendeten Saugwindinstrument – sein Atmen ermöglichen eine Konzentration auf das musikalisch-instrumentale Geschehen, ohne gegenüber der Vokalfassung an Expressivität und Differenzierung einzubüßen.

Dazu freilich bedarf es außerordentlicher Beherrschung des Instruments und großer Vertrautheit mit ihm, wie Lars David Kellner sie besitzt und hier wiederum beispielhaft vorführt. Dazu bedarf es aber vor allem eines Zugangs zu Liszts Tonsprache, insbesondere zu diesem einerseits ungewöhnlich kargen und erratisch wirkenden, aber andererseits auch außergewöhnlich reichen und wechselvollen Werk. Die hat Kellner gefunden – wie etwa die instrumentalen Teile beweisen (Stationen IV, V, vor allem X, XIII) und in denen Registrierung, wechselvolle Dynamik, Legato-Spiel und Tempi einfach begeistern. Oder die dramatische Erfassung der Station XII (Jésus meurt sur la Croix), deren weite dynamische Bögen unbedingt staunenswert sind – bis hin zum abschließenden Choral O Traurigkeit, o Herzeleid: Ein absolutes Kleinod der Interpretation auf dem Harmonium. Kellners Spiel leuchtet mal glimmend, mal glühend, mal lodernd, übertreibt nie und fasziniert immer – bis zum abschließenden O Crux ave, spes unica, mit dem Liszt den einleitenden Hymnus wiederaufnimmt. (Ein Sonderlob gebührt wiederum der Sorgfalt sowohl des Orgelbauers als auch der des Toningenieurs, die auch Volume 3 zum Hörvergnügen macht.)

Dieses dritte Volume wäre ein herausragender Abschluss für Lars David Kellners maßstabsetzende Einspielung des Lisztschen Harmoniumwerks gewesen – wäre der lisztbegeisterte Künstler nicht inzwischen auf weitere Manuskripte mit Werken Liszts für das Instrument gestoßen, und zwar in einem Umfang, der, wie man hört, noch ein ganzes viertes Volume füllen soll … Und das ist eine großartige Nachricht nicht nur für Freunde des Instruments, sondern für alle Liszt-Fans. – MS


Michael Straeter, Deutsche Liszt-Gesellschaft